Von keinem anderen Land der Erde haben die Leute scheinbar mehr Vorstellungen als von Kuba. Endlos weiße Sandstrände von Palmen umrahmt, Cuba Libre oder Pina Colada in der warmen Abendsonne am Malecón von Havanna. Seit ich letztes Jahr auf dem kleinen Inselstaat in der Karibik zwischen dem Golf von Mexiko und dem karibischen Meer war, stechen mir zu Hause immer wieder dieselben Reklamen ins Auge. Bilder auf Rumflaschen und Zigarrenschatullen an der Nachbartankstelle erzählen von eben diesen Vorstellungen des wunderbaren Kubas, wo das Leben noch ein Ponyhof zu sein scheint.
Oh ja! Kuba ist das Land, wo die Menschen noch wissen wie es ist mit einer Zigarre im Mundwinkel grinsend in der Sonne zu dösen. Männer fordern ihre Frauen zum spontanen Tanz auf oder umgekehrt. Und das können sie. Tanzen. Und wie. Es ist, als hätte Kuba das alles erfunden: Die Musik, den Tanz, die Cocktails, aber vor allem den Optimismus selbst.
Ohne Frage, in Kuba ist ein Teil meines Herzens geblieben und ich bezweifle, dass es zu mir zurückkehrt, wenn ich es nicht abholen komme. Aber im Ernst, wer wirklich in Kuba geblieben ist sind meine vielen Freunde, die man, jeden einzelnen allein deswegen schon nicht vergisst, weil die mitreißende Impulsivität des einen oder das schallende Gelächter des anderen auch ein Jahr später immer noch zu spüren ist und in meinen Ohren hallt, wenn ich an sie denke.
Und die kann ich wirklich nur sehen wenn ich sie besuchen komme. Sie selbst haben die Insel noch nie verlassen, es sei denn sie sind über 70 Jahre alt und waren zu DDR-Zeiten als Geste kommunistischem Zusammenhalts Kubas und der DDR als Arbeiter im östlichen Teil Deutschlands gewesen. Ansonsten gibt es theoretisch ja, aber praktisch nein, keine Möglichkeit buchstäblich seinen Horizont zu erweitern und Kuba den Rücken zu kehren. Was bei uns mittlerweile schon zum guten Ton gehört, ein oder zwei Auslandssemester vollbracht zu haben oder dass das Wort ERASMUS für jeden Studenten ein bekannter Begriff ist, wo die Leute sich auf Social Media Kanälen als „travel addicted“ beschreiben, ist für die Bevölkerung Kubas schlichtweg ein unerfüllter Traum.
Und trotzdem, ich denke zurück an Yoenni den Taxifahrer, der mich so unglaublich fürsorglich und selbstlos die halbe Nacht durch Santiago de Cuba kutschiert hat um mit mir mein abgelegenes und verstecktes Casa Particular (Gastzimmer in einem Privathaus) zu suchen, zu welchem ich den Weg nicht mehr fand. Und das tat er mit einer Gelassenheit und Selbstverständlichkeit, die ich so von einem Fremden noch niemals zuvor erfahren hatte.
Nun könnte man meinen, Lockerheit und Ruhe, das liege den Kubanern einfach im Blut und wenn nicht würde der Rum schon dafür sorgen, aber nein, Yoenni, 24 Jahre bringt mich nun zu seiner Frau Daylen, 22 Jahre und seinen beiden kleinen Kindern nach Hause und übergibt mich in ihre Hände. Er selbst versucht ein paar Stunden zu schlafen. Morgen Früh kommt ein Reisebus am Bahnhof von Santiago an und er muss, wie ein Dutzend anderer seiner Kollegen bereit stehen und versuchen, Kunden abzuwerben. Daylen, gerade mal zwei Jahre älter als ich, Mutter zweier Kinder, lebt mit ihrem Ehemann in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in dritter Generation, während die Vierte dabei ist, Laufen und Sprechen zu lernen. Die beiden Knirpse leben mit Ur-Großvater, mit dem wir alle zusammen wenige Tage später seinen 90. Geburtstag feiern, der Oma und ihren jungen Eltern gemeinsam unter einem Dach. Privatsphäre existiert hier nicht. Was für mich wiederum sehr schön ist, denn die gesamte Familie tummelt sich um mich herum und ich versuche mich mit meinem Spanisch zu erklären, während sie mich, temperamentvoll wie Kubaner sind, in einem Affentempo mit Fragen bombardieren. Und das auf eine Weise, wie ich es mir herzlicher nicht hätte ausmalen können. Es ist Mitternacht, Yoenni sollte schon längst im Bett sein und die Kinder erst Recht. Ganz zu schweigen vom 90 Jahre alten Großvater. Und trotzdem, nach mehrmaligen Verneinungen meinerseits, dass ich nichts zu Essen möchte (und ich bin mir sicher, es haperte nicht an der Kommunikation), wurde aufgetischt. Und zwar richtig. Um den kleinen Tisch im Wohnzimmer kamen alle zusammen und ich war froh, dass niemand auf mein vielleicht typisch deutsch angelerntes Höflichkeitsablehnen gehört hat und wir nun köstliche panierte Kartoffeln und Jugus (Saft) aus Papaya genossen. Und obwohl ich in die Dusche geschickt wurde, die aus einem Kübel, den Yoenni vorher für mich mit heißem Wasser gefüllt hatte, bestand, war das in diesem Moment der größte Luxus, den ich mir vorstellen konnte. Ich war hungrig, müde und durch die kubanische gnadenlose Sonne, die immer im Zenith zu stehen scheint, verschwitzt und, und das war das Schlimmste – komplett orientierungslos. Und einige Stunden später war ich hier. Bei einer wildfremden Familie, irgendwo am Rande von Santiago de Cuba (im Südosten der Insel) und fühlte mich wohl und mehr als willkommen. Frisch geduscht und mit einem weichen Pyjama von Daylen, mit vollem Magen und sehr glücklich bringt mich die Familie ins Bett (und das meine ich wortwörtlich). Ich schlafe neben der zwei Jahre alten Rina während das junge Paar bei Daylens Mutter unterkommt.
Es gäbe noch so einiges über die Erlebnisse mit dieser unglaublichen Familie zu erzählen, mit welcher ich noch heute trotz gravierender Internetschwierigkeiten von Seiten Kubas telefoniere. Auch wenn sich die USA und Kuba langsam wieder annähern, bis dieses schöne Fleckchen Erde aus ihrem, meist nur für Touristen wunderschönen Tiefschlaf erwacht, wird es vermutlich noch eine Ewigkeit dauern. Solange bleiben Yoenni, Daylen und ich nur übers Internet in Kontakt. Aber wer weiß, wann mich Kuba wieder packen und zu sich holen wird.